In den Pfingstferien verbrachten wir einige Tage am Rhein auf den Spuren Hildegards von Bingen. Diese kleine Reise hatte ich mir schon lange gewünscht.
Seit vielen Jahren interessiere ich mich für diese so außergewöhnliche Universalgelehrte. Je mehr ich über sie erfahre, desto faszinierender finde ich sie.
Hildegard von Bingen wurde 1098 geboren und lebte in der Zeit des Hochmittelalters. Sie verfasste mehrere natur- und heilkundliche Schriften, in denen sie sich mit Gott, der Schöpfung, dem Menschen, mit Heilkunde, Ernährung und Musik befasste.
Hildegard lebte sehr verbunden mit der Natur, die sie als Gesamtheit auffasste und als deren Teil sie sich sah. Und wirklich, nur wer sich selbst als Teil der Schöpfung begreift, begegnet ihr auch mit Respekt, oder?
Sie war ihrer Zeit weit voraus und setzte durch ihre Lehren ganz neue Impulse. Ihre Schriften und ihre ganzheitliche Sicht auf die Dinge, sind aktueller denn je.
Hildegard sah den Menschen als Einheit von Körper und Seele. Ihre Gedanken über die Entstehung von Krankheiten, Ernährung und Lebensführung waren für die damalige Zeit erstaunlich. Die wichtigste Voraussetzung für ein gesundes Leben sei, im Einklang mit Gott, der Natur und den Mitmenschen zu leben.
Oft sprach sie von „Viriditas“ (vom lat. viridis = grün), einer von Gott gegebenen „Grünkraft“, die allem Lebendigen, allen Menschen, Tieren und Pflanzen innewohne:
„Es gibt eine Kraft aus der Ewigkeit, und die heißt grün“.
Hildegard von Bingen
Sie riet, immer wieder in die Natur zu gehen, das Grün zu betrachten und sehr bewusst in sich aufzunehmen. Mit der „Grünkraft“ umschrieb sie auch die Selbstheilungskräfte des Menschen, die in seinem Innersten ruhen und unzerstörbar seien.
Was für ein moderner Ansatz! Und wie schwer tun wir „fortschrittlichen“ Menschen uns in dieser Richtung. Mit Waldbaden, Life-Coaching, Stressmanagement-Seminaren, Achtsamkeits-Training muss man uns erst wieder beibringen, zu uns zu finden, zur Ruhe zu kommen, achtsam mit unseren Nächsten, mit der Natur und mit uns selbst umzugehen.
Die erste Station auf den Spuren Hildegards von Bingen führte uns auf den Disibodenberg…
Hildegard war das zehnte Kind einer adligen, religiösen und wohlhabenden Familie.
Ihre Eltern hatten für sie schon früh ein gottgeweihtes Leben vorgesehen. Sie war erst acht Jahre alt, als sie gemeinsam mit der nur acht Jahre älteren Jutta von Sponheim, einer geistlichen Erziehung übergeben wurde.
Am 1. November 1112, im Alter von 14 Jahren, bezog Hildegard zusammen mit Jutta und einem weiteren adligen Mädchen die „Frauenklause“ (Inklusorium) des Klosters Disibodenberg, das seit 1108 von Benediktinermönchen bewohnt wurde.
Vieles spricht nach neuesten Erkenntnissen dafür, dass die „Frauenklause“ am Disibodenberg nicht hermetisch von ihrer Umwelt abgeriegelt war. Das Leben als „Inklusin“ darf wahrscheinlich nicht ganz wörtlich genommen werden.
Es ist wohl eher von einem Doppelkloster auszugehen, wo Männer- und Frauenkonvent nebeneinander existierten. Diese Klosterform war zu Beginn des 12. Jahrhunderts häufiger anzutreffen.
Woher kommt der Name Disibodenberg?
Schon lange vor der Zeit Hildegards war die sattelartige Ebene am Zusammenfluss von Nahe und Glan ein Ort religiösen Lebens.
Bereits in keltischer Zeit befand sich auf dem Disibodenberg vermutlich ein Heiligtum, das, wie so oft, von den Römern übernommen und vergrößert wurde.
Um 640 n. Chr. ließ sich Disibod, ein adliger Priester aus Irland, nach langer Pilgerschaft als Einsiedler auf dem Berg nieder. Er war zum Bischof ernannt worden und heftige Widerstände seiner Gegner hatten ihn veranlasst, sein Land zu verlassen.
Hildegard von Bingen verfasste um 1170 eine Vita Disibods.
Nach Hildegard kam Disibod, begleitet von seinen Schülern Giswald, Clemens und Sallust, als Missionar in das fränkische Reich. Dort waren sie in den Vogesen und Ardennen aktiv, bis Disibod, geleitet durch einen Traum, eine Klause am Zusammenfluss von Nahe und Glan errichtete, woraus später das Kloster Disibodenberg entstand.
In der Vita heißt es über den Ort der Klause:
„Wo sein Wanderstab, in die Erde gesteckt, grünte, wo eine weiße Hirschkuh einen Quell frischen Wassers aus der Erde scharrte und wo sich zwei Flüsse vereinigen.“
Hildegard von Bingen
Was für eine Aussicht! Sanfte Hügel, fruchtbare Böden, die beiden Flüsse – sicher ein guter Ort für eine Eremitei.
Der Ruf Disibods als Heiliger zog immer mehr Menschen auf den Berg. Sie organisierten sich in einer kleinen Gemeinschaft und gründeten ein erstes Kloster.
Vom Berg aus, der später nach dem Einsiedler benannt wurde, verbreitete sich das Christentum im Naheland.
Nach Disibods Tod um 700 lockte sein Grab weiterhin Pilger an, sodass man dort etwa fünfzig Jahre später eine erste kleine Kirche errichtete.
Um das Jahr 1000 gründeten zwölf Augustiner-Chorherren auf Veranlassung des Mainzer Erzbischofs Willigis ein Stift, das etwa 1100 von Erzbischof Ruthard von Mainz in ein Benediktinerkloster umgewandelt wurde.
1108 begannen dann die Bauarbeiten an einer neuen, weitläufigen Klosteranlage, die über vier Jahrzehnte andauern sollten.
Die Ruinen dieses Klosters kann man heute besuchen…
Wie still es hier oben war!!! Kein Windhauch, wir hörten nur das Zwitschern der Vögel.
In den Ruinen der ehemaligen Abteikirche wächst heute eine alte, dreistämmige Eiche, die als Symbol der Dreifaltigkeit angesehen wird.
Für viele Menschen ist der Disibodenberg auch heute noch ein Kraftort.
Ihr wisst, dass ich, bei aller Begeisterung, die Natur, die Pflanzen eher aus botanischer, wissenschaftlicher Sicht betrachte und so gar nicht esoterisch unterwegs bin.
Doch hier oben auf dem Disibodenberg ist das etwas anderes.
Der besonderen Atmosphäre dieses Orts kann man sich schwer entziehen.
Auch die uralten Bäume mit ihrem kräftigen Wuchs strahlen eine solche Ruhe aus.
Ich denke, es gibt sie, die „Sprache der Bäume“. Und es gibt Orte, die Freude und Harmonie auslösen, die entspannen, die unserem Körper und unserer Seele guttun.
Nun, da wären wir wieder bei „Viriditas“.
Vielleicht habt auch ihr einmal die Möglichkeit, den Disibodenberg zu besuchen?
Nehmt euch genügend Zeit dafür!
An dieser Stelle einen ganz großen Dank dem „Historischen Museum am Strom“ in Bingen, dass ich einige Fotos von der Dauerausstellung zu Hildegard von Bingen machen durfte.
Im Jahre 1998, zum 900. Geburtstag Hildegards, wurde das prachtvolle alte Elektrizitätswerk am Binger Rheinufer zu diesem außergewöhnlichen Museum umgebaut.
Harald und ich waren komplett begeistert davon. Einen Besuch dort können wir wärmstens empfehlen!
Nun wünsche ich euch eine wundervolle Sommerwoche. Bleibt gesund und fühlt euch gedrückt!
Herzlichst eure
Regina